12.4. — 25.8.2019
Rajkamal Kahlon, Bucheinband und Seiten aus der Serie "Die Völker der Erde" (2017-2019)
Rajkamal Kahlon untersucht in ihren Arbeiten die ideologische Perspektive ethnografischer Portraitfotografie. Sie nutzt historische Buchillustrationen, die sie malerisch überarbeitet indem sie die Kleidung der abgebildeten Personen verändert oder Attribute hinzufügt. Damit zwingt sie uns, das historische Material neu und anders zu sehen. Wie in einem Palimpsest addieren sich in ihren Arbeiten die Informationen, das Historische tritt zurück, bleibt aber weiterhin sichtbar.
Unser Wissen von der Welt wird, außer durch unsere eigenen Erfahrungen, durch Texte und Bilder geprägt, welche uns erzählen und zeigen, wie es sich an weit entfernten Orten lebt und was die Menschen dort umtreibt. Mit etwas Glück lernen wir im Laufe der Jahre vertrauenswürdige Berichterstatter und Berichterstatterinnen kennen, doch sind alle Berichte, die wir lesen, sehen und hören, stets subjektiv. Sie vermitteln eine Sichtweise auf die Dinge, die durch die historische Situation der Autoren und Autorinnen geprägt wurde, durch ihren Wissensstand, ihre Geisteshaltung, ihre Politik.
Kurt Lampert, der im Jahr 1900 das zweibändige Werk Die Völker der Erde veröffentlichte, war sich wohl nicht darüber bewusst, wie rassistisch und eurozentrisch seine Publikation war. Das Buch entsprach dem damals aktuellen Wissens- und Forschungsstand und vermittelte ein zutiefst kolonialistisches Weltbild. Die Inszenierung der Abbildungen basierte auf Konstruktionen des „Wilden“ oder „Primitiven“ und formte Darstellungscodes, die in der Populärkultur bis heute nachwirken. Sie sind uns nicht fremd geworden, obschon die Kolonialzeit als lange überwunden gilt. Die Mechanismen der Hierarchisierung haben sich erhalten und auch die Erzählstrukturen sind dieselben geblieben.
Durch ihre visuelle Analyse erforscht Rajkamal Kahlon diese Kontinuitäten und fordert mit ihren Bildtransformationen und Übermalungen immer wieder das Publikum auf, den eigenen Blick neu zu hinterfragen.
Die 300-teilige Serie ‚Die Völker der Erde’ (2017–2019) wird in dieser Ausstellung der MEWO Kunsthalle zum ersten Mal vollständig präsentiert. Arbeiten aus der Serie ‚Do you know our names?’ und die Videoarbeit People of Afghanistan ergänzen die Ausstellung.
Rajkamal Kahlon studierte an der University of California in Davis, der Skowhegan School of Painting and Sculpture in Madison sowie am California College of the Arts in Oakland. 2001 nahm sie am Independent Study Program (ISP) des Whitney Museums in New York teil.
2006 wurde sie mit einem Stipendium der Joan Mitchell Foundation ausgezeichnet, 2007-2010 erhielt sie ein Lambent Fellowship und 2012 ein Künstlerstipendium des Goethe Instituts, ein Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds sowie ein Stipendium der Pollock-Krasner Foundation. 2017 erhielt sie ein Arbeitsstipendium der Hans und Charlotte Krull Stiftung und 2019 den Villa Romana Preis.
Derzeit lebt Rajkamal Kahlon in Florenz.